Ihr habt entschieden: Ich habe im neuen Video für euch zusammengefasst, wie man dreidimensionale Figuren erstellt. Dieses Mal auch zusätzlich als Textbeitrag!
42 % derjenigen, die bei meiner Facebook-Umfrage abgestimmt haben, wünschen sich ein Video darüber, wie man dreidimensionale Romanfiguren erstellt. Diesem Wunsch komme ich natürlich sehr gerne nach!
Da mir aus einem der letzten Kommentare noch bekannt ist, dass es unter euch Leser gibt, die sehr gerne begleitende Texte zu den Videos hätten, komme auch dieser Bitte heute nach.
Du hast also die Wahl: Sieh dir entweder das Video an (um die 20 Minuten), um alle Beispiele und Tipps mitzukriegen, oder lies dir hier die Kurzversion durch.
Video: 5 Tipps für dreidimensionale Figuren
Warum müssen Figuren dreidimensional sein?
Ein Roman wird von seinen Figuren und den Konflikten getragen. Wenn man mal in die Klassiker und Bestseller hineinschaut, stellt man immer wieder fest, dass es die FIGUREN waren, die ausschlaggebend für den Erfolg des Buches waren, nicht unbedingt die Geschichte als solche (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Wer also ein gutes Buch schreiben will, braucht gute Figuren und gute Figuren haben drei Dimensionen, sind authentisch und agieren immer mit voller Leidenschaft und maximaler Kapazität. Dazu kommen wir jetzt.
Tipp 1: Mehr als die Realität
Da wir in einem Buch nur eine begrenzte Zeit haben, um eine Figur vorzustellen, sich entwickeln zu lassen und dabei eine Geschichte zu erzählen, entsprechen Romanfiguren nicht der Realität. Sie sollen zwei Dinge vereinen: Der Leser soll ihr Handeln nachvollziehen können und sie sollen ein Vorbild sein (oder ein abschreckendes Beispiel).
In der Realität sind Menschen wankelmütig, treffen unlogische Entscheidungen und sind launisch. In Romanen sollte man relativ schnell erkennen, was die Figur ausmacht, was sie antreibt und welche Einstellungen sie hat. Deswegen handeln sie eher geradlinig und sind weniger wankelmütig als echte Menschen.
Außerdem haben Romanfiguren immer “mehr”: Mehr Sexappeal, mehr Leidenschaft, mehr Gelüste. Sie sind hübscher oder hässlicher, klüger oder dümmer, mutiger oder ängstlicher als reale Menschen. Das ist einer der Gründe, warum es so viele gutaussehende Protagonisten/innen gibt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Leser es so haben möchten! Ich mutmaße, dass es tatsächlich aus der Vorbildfunktion resultiert: Einem heißgeliebten Protagonisten möchte ich nacheifern und ihn anfeuern, und zu einem Teil wünsche ich mir, wie er (sie) zu sein: Hübsch, erfolgreich, mutig und leidenschaftlich.
Drei Dimensionen
Lajos Egri beschreibt in seinem Ratgeber “Literarisches Schreiben” (Affiliate-Link) drei Dimensionen, die jede Figur haben sollte, um lebendig zu wirken:
Körperliche Dimension
Hierbei geht es um das Aussehen und die Charakterzüge der Figur. Wie groß ist sie, was wiegt sie, wie sind Haar- und Augenfarbe? Ist die Figur mutig, treu, rachsüchtig oder loyal?
Eine unvollständige Liste der Punkte, über die du dir Gedanken machen kannst:
- Name
- Alter
- Größe
- Rasse (bei Fantasy / ansonsten Europäer, Asiat, Afrikaner, etc.)
- Gewicht
- Haarfarbe
- Augenfarbe
- Gesichtsform
- Körperform
- Erscheinung (zierlich/schmächtig, stark, …)
- Stärkste Charaktereigenschaft
- Schwäche
- Lieblingsessen
- Lieblingsmusik
- Nahestehende Menschen
- …
Soziale Dimension
Es reicht nicht, zu wissen, dass jemand mutig oder klug ist – als Autor/in musst du wissen, WARUM die Figur so geworden ist. Dabei hilft oft das soziale Umfeld der Figur.
Wo ist die Figur aufgewachsen? Was für Eltern hatte sie? Welche Art Erziehung haben die Eltern der Figur angedeihen lassen? Wie hat sie ihre Kindheit erlebt? Was waren besonders glückliche Ereignisse in Kindheit und Jugend? Welche politische Einstellung hatten die Eltern, welche hat die Figur? Wie stehen Sie zu Religion? Glaubt die Figur an etwas? Was für Freunde hat sie und warum ausgerechnet diese? Mit wem war die Figur bisher intim und waren es gute oder schlechte Erfahrungen? Und so weiter und so fort …
Geistig-Seelische Dimension
Hierbei geht es im Detail um Motive, Einstellungen, Ängste, Komplexe, Sehnsüchte, Fantasien, und so weiter. Hier können Dinge aus der körperlichen Dimension (Logikfähigkeit zum Beispiel) ausgearbeitet werden: Welche Art Logik beherrscht die Figur besonders? Wie steht es um die Fähigkeit, neue Dinge zu erlernen? Diese Dimension ergibt sich auch häufig aus den ersten beiden. Es sollten sich hier Glaubensgrundsätze ergeben, Einstellungen der Figur gegenüber bestimmter Werte, sowie der Lebenssinn.
Hier ist eine ganz gute Einstiegshilfe als Word-Datei von spornstein.de
Tipp 3: Entdecke die Leidenschaft
Jede gute Figur braucht eine starke Leidenschaft, die sie zu Höchstleistungen antreibt. Sie muss so stark sein, dass die Figur auch in äußerster Anfechtung sich ein letztes Mal aufrappeln und für sie einstehen kann. Mehrere Motive lassen sich unter der Leidenschaft zusammenfassen, die die treibende Kraft im Leben der Figur ist.
Tipp 4: Brich mit dem Klischee
Du hast die Möglichkeit, deine Figur über einen Stereotypen zu entwickeln. Das hilft dem Leser bei der schnellen Einordnung deiner Figur, denn er muss sie “fassen” können und schnell kennenlernen, um sich mit ihr zu identifizieren und durch den Roman begleiten zu wollen.
Nehmen wir mal an, du schreibst einen Krimi. Es gibt verschiedene Stereotypen von Detektiven, die üblich sind: Der kaltschnäuzige Unnahbare, der Gelehrte, der Anfänger, … Such dir einen aus.
Wichtig ist, dass du nicht alle Klischees erfüllst, mit denen man bei so einer Figur rechnet. Ein kaltschnäuziger Detektiv braucht also irgendeine Seite, die man nicht an ihm vermutet. Hüte dich vor Klischees! Einfach das Gegenteil zu nehmen, ist mittlerweile nicht mehr originell (“harte Schale, weicher Kern”). Strenge dein Gehirn ein bisschen an und verpasse deiner Figur eine interessante Macke oder eine faszinierende Eigenschaft, die mit dem üblichen Klischee bricht. Das weckt Interesse und macht die Figur einmaliger.
Tipp 5: Agieren an der maximalen Kapazitätsgrenze
Als Autor/in ist es deine Pflicht, deine Figur tun zu lassen, wozu sie im Stande ist. Nicht jede Figur ist Herkules oder Superman und kann Dinge, die andere nicht können, aber jede Figur kann das ihr maximal Mögliche tun.
In seinem Ratgeber “Wie man einen verdammt guten Roman schreibt” (Affiliate-Link) nennt James N. Frey ein ganz hübsches Beispiel dazu:
Stell dir vor, du hast eine Figur kreiert: Sue (im Buch heißt sie Ellen Sue, aber ich mag Sue lieber). Sue ist sehr, sehr schüchtern und schon lange in ihren Arbeitskollegen Alex verliebt. Natürlich traut sie sich nicht, ihn anzusprechen.
Im echten Leben wäre es hier schon vorbei, denn selten traut sich jemand aus seiner Komfortzone heraus. Nicht so Sue, die Romanfigur.
Um das Maximum ihrer Fähigkeiten herauszuholen, hast du als Autor/in diverse Möglichkeiten:
- Sue könnte Alex eine E-Mail schreiben
- Sie könnte ihn anrufen
- Sie könnte ihn mit Kaffee bekleckern und sein Hemd dann saubermachen
- …
Wenn du also als Autor/in vor der Frage stehst, was deine Figur tun soll, dann lasse sie immer ihre maximalen Handlungsspielraum nutzen! Und wenn du mehrere Möglichkeiten hast, stelle dir die Frage: Welche dieser Möglichkeiten ist besonders dramatisch/einfallsreich/überraschend?
Womit hast du noch Probleme?
Gibt es ein Thema, bei dem du schreibtechnisch einfach nicht weiterkommst? Wünschst du dir ein Video zu einem bestimmten Thema? Dann nichts wie ab in die Kommentare! Mich würde außerdem sehr interessieren, wie du bisher immer deine Figuren gestaltest und ob du die genannten Tipps mal ausprobieren wirst.
Liebe Annika,
sehr, sehr aufschlussreich! Kann ich gerade sehr gut für meinen neuen Roman umsetzen. Vielen Dank. lg Melanie