Besser Romane schreiben: Tipps für mehr Spannung
Wo fehlt den meisten durchschnittlich guten Romanen die meiste Spannung? Genau, im Mittelteil. Mit diesen Tipps klappt es, den Hänger in der Mitte zu überwinden!
Im heutigen zweiten Teil der Serie „Bessere Romane schreiben“ geht es um das Thema Spannung. Die gleichnamigen Bücher von Stephan Waldscheidt* kann ich dir übrigens auch empfehlen, wenn du gerne vereinzelte Beiträge zu Themen liest, statt einem durchstrukturierten roten Faden zu folgen. Manchmal will man ja einfach nur einen Tipp zu Thema XY, dafür eignen sich die Bücher sehr gut.
Falls du Teil 1 verpasst hast, schaue zuerst hier nach, was wir über „Die Anfangslüge“ gesagt haben.
Warum wir uns damit beschäftigen:
Ich möchte einen Einwand zitieren, den ich neulich in einem Gespräch gehört habe: „Warum muss ich mich überhaupt mit der ganzen Theorie befassen? Meine Idee ist gut genug.“
Die beste Idee nützt nichts, wenn sie schlecht umgesetzt wird. Seit Jahrtausenden erzählen sich die Menschen Geschichten und dieses Gebiet ist sehr gut erforscht: Man weiß bereits, was gut funktioniert und was nicht. Wer die Tricks kennt, um mitreißende Figuren zu entwickeln, Spannung aufzubauen, Überraschungen zu inszenieren und alles ganz leicht lesbar wirken zu lassen, der wird mit einer sehr viel höheren Wahrscheinlichkeit seine Ziele erreichen als derjenige, der sich auf sein Talent und seine Intuition verlässt.
Auch interessant: Alle Autoren, die ich kenne und von denen ich weiß, dass sie „aus dem Bauch heraus“ schreiben (ohne sich mit der Theorie auseinanderzusetzen), setzen alle Regeln des Schreibhandwerks automatisch ein. Es ist ihnen nicht bewusst, aber sie tun es. Ich hab es geprüft 😉
Verlasse dich nicht auf dein Genie. Lerne die Theorie und lasse dann deine Intuition das Ruder übernehmen!
Auch zu Teil 2 gibt es ein Video:
Das Problem ist, glaube ich, klar: Viele Autoren starten relativ stark und spannungsgeladen, weil sich schon herumgesprochen hat, dass der Anfang wichtig ist, weil er die Leser begeistern sollte, damit sie das Buch kaufen wollen, beziehungsweise damit sie weiterlesen. Leider flaut die Spannung nach dem starken Anfang ab und wir werden als Leser oft mit vielen Informationen überschüttet, die das Tempo drosseln.
Fehlende Spannung Dank mangelnder Struktur
In der Regel hat ja jeder Roman einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schluss. Der Anfang ist häufig spannend, das Ende wegen des Finales ohnehin, nur in der Mitte schwächelt unser Meisterwerk. Schuld daran kann eine unzureichende Struktur sein.
Mal völlig unabhängig davon, ob du nach einer 3-Akt-, 4-Akt-, 5-Akt-Struktur, der Heldenreise oder gar keinem Konzept arbeitest: Es gibt wiederkehrende Punkte, die Spannungsgaranten sind und die ich dir auch empfehlen würde. Am einfachsten finde ich es in der 4-Akt-Struktur:
Anfang: Ist-Zustand des Helden (allerdings nicht konfliktfrei!)
Auslösendes Moment (Ruf zum Abenteuer): Etwas passiert, das den Alltag stört
Plot Point 1: Die Geschichte nimmt Fahrt auf. Der Held stellt sich seiner Herausforderung
Mittelteil 1: Der Held besteht Prüfungen und Aufgaben, sein Ziel rückt in die Ferne
Mid Point: Etwas Überraschendes passiert (Twist). Der Held wird gezwungen, aktiv zu werden.
Mittelteil 2: Der Held versucht, seine Mission zu erfüllen/sein Ziel zu erreichen, die Konflikte verschärfen sich
Plot Point 2: Etwas Überraschendes passiert (Twist), das sich aber die ganze Zeit angebahnt hat
Schluss: Der Antagonist wird geschlagen (beim Happy End), alle Puzzleteile werden gelöst und der Held erreicht sein Ziel
Mir ist klar, dass das jetzt ein sehr schematischer Aufbau ist und ohne Regel keine Ausnahme, aber wenn du das Gefühl hast, dass bei dir im Mittelteil die Spannung fehlt, versuche doch mal, deinen Roman mit diesem Schema in Einklang zu bringen. Hast du Überraschungen eingebaut, die der Leser nicht schon in Kapitel 1 erahnt?
Fehlende Spannung Dank mangelnder Konflikte
Zu wenig Konflikte sind eigentlich der häufigste Grund, der mir bisher begegnet ist, wenn es um mangelnde Spannung geht. Der Held hat kein klares Ziel, das seinem Innersten entgegenstrebt; vielleicht hat er auch gar kein Problem, es zu erreichen. Der Antagonist ist nicht mächtig genug. Die Probleme sind irrelevant. Oder aber der Leser schert sich nicht um den Helden.
Wie kannst du Konflikte verschärfen? Indem du erhöhst, was auf dem Spiel steht.
Stell dir vor, du bist Busfahrer. Einer deiner Mitfahrer kommt nach vorne, reicht dir sein Handy, das du verwundert und verärgert annimmst.
„Ja?“, bellst du hinein, deine Augen auf die Fahrbahn geheftet.
„Fahren Sie nicht langsamer als 50 km/h“, sagt die Stimme am anderen Ende.
Irritiert ziehst du eine Augenbraue nach oben. „Sonst was?“
„Sonst verlieren Sie eine Wette.“
Aha. Spannend.
Nicht.
Hier steht im Grunde nichts auf dem Spiel. Dann verlierst du eben eine Wette, so what? Dafür rast du nicht mit 50 durch die Fußgängerzone.
Du ahnst bestimmt schon, auf welchen Film ich hier anspiele (auch wenn er keine Fußgängerzone beinhaltet). Wenn das, was auf dem Spiel steht, verstärkt wird, nehmen sofort die Konflikte zu:
Stell dir vor, du bist Busfahrer. Einer deiner Mitfahrer kommt nach vorne, reicht dir sein Handy, das du verwundert und verärgert annimmst.
„Ja?“, bellst du hinein, die Augen auf die Fahrbahn geheftet.
„Fahren Sie nicht langsamer als 50 km/h“, sagt die Stimme am anderen Ende.
Irritiert ziehst du eine Augenbraue nach oben. „Sonst was?“
Die Stimme klingt, als würde sie lächeln. „Sonst wird die Bombe hochgehen, die unter ihrem Bus installiert wurde.“
BÄM!
Das ist schon etwas anderes, oder? Jetzt siehst du unsicher in den Rückspiegel, nimmst automatisch den Fuß vom Gas, wirst langsamer.
„Na, na, na“, sagt die Stimme tadelnd, „Sie wollen unser schönes Spiel doch nicht jetzt schon beenden?“
Im Film ist es sogar noch besser gemacht, weil der folgende Punkt auch berücksichtigt wurde:
Konflikte verstärken: Andere Figuren einbeziehen
Der Film „Speed“, bei dem eine Bombe unter einem Bus befestigt wurde, die in die Luft geht, wenn der Bus weniger als 50 Meilen pro Stunde fährt, nutzt auch dieses Element: Nicht genug, dass alle vermutlich in die Luft fliegen, nein: der Busfahrer wird auch noch außer Gefecht gesetzt und eine unerfahrene Frau muss jetzt dafür sorgen, dass alle überleben.
Ganz ähnlich macht es auch die Autorin der „Hungerspiele“, also des Buches „Die Tribute von Panem„*. Hier ist es ja so, dass wir als Leser in eine Welt eingeführt werden, in der jedes Jahr Menschen aus den verschiedenen Bezirken (Distrikten) ausgewählt werden, die in einer großen Big-Brother-angehauchten Show um ihr Leben kämpfen müssen.
Das alleine ist ja schon ein wirklich gut gemachter Konflikt, der mehrere Ebenen abdeckt (Überlebenskampft, moralischer Konflikt, etc.). Nun hat die Autorin aber noch ein As im Ärmel: Statt die Hauptfigur für diesen Kampf auszuwählen und somit die Lesererwartung zu erfüllen, lässt sie die kleine, zarte, unschuldige Schwester der Hauptfigur das Opfer werden.
Mit anderen Worten: Es kam noch schlimmer als befürchtet. Katniss, die Hauptfigur, meldet sich daraufhin freiwillig, um an ihrer Schwester statt an den Spielen teilzunehmen. Das steigert einerseits die Sympathie zu ihr, die sie vom Leser braucht, damit er an der Stange bleibt (und gerade Katniss ist ja eher eine Anti-Heldin und etwas kratzbürstig, jedenfalls im Film), und andererseits wird der Grundkonflikt „Verdammt, mein Name wurde gezogen und jetzt muss ich wohl sterben“ nochmal verschärft, indem Katniss jetzt freiwillig sehenden Auges in den Tod geht.
Also: Sind deine Konflikte im Mittelteil vielleicht noch nicht stark genug? Kannst du dafür sorgen, dass das Schlimmste passiert, was du dir vorstellen kannst?
Mehr Spannung durch weniger Labern
Ist der Anfang, die Exposition, erst einmal gemacht, geht es oft los mit dem Infodump: Da wird die halbe Lebensgeschichte des Helden beim Kaffee mit der besten Freundin erzählt oder eine kapitellange Rückblende erzählt in allen Einzelheiten, wie es dem Antagonisten damals als Kind ergangen ist.
Generell ist es sehr lobenswert, dass du dir so viele Gedanken um deine Figuren gemacht hat. Nur leider hilft das wenig bei der Spannung.
Rückblenden, die Backstory und andere erklärende Situationen verlangsamen das Tempo des Romans, und je langsamer das Tempo ist, desto schwieriger ist es, Spannung zu halten – wer mal Yoga gemacht hat, versteht, was ich meine.
Kannst du diese notwendigen Informationen subtiler einbinden? Hat jede deiner Szenen Konflikte, ergibt jede Szene eine Veränderung? Wenn nein, dann überarbeite die Szene oder schmeiß sie raus.
Letztes Mittel: Cliffhanger
Wenn gar nichts mehr geht, kannst du natürlich auch probieren, Cliffhanger einzubinden. Damit sind nicht nur die abrupten Enden von Kapitel gemeint (mehr über Cliffhanger kannst du hier nachlesen). Du kannst auch Kapitel aus verschiedenen Perspektiven schreiben und sie abwechseln, sodass mehrere Handlungsstränge parallel laufen und erst am Ende zusammenführen. Wann immer ein Perspektivwechsel vollzogen wird, ist man als Leser etwas wehmütig, weil man so gerne diesen Handlungsstrang weiterverfolgt hätte, aber letztlich hängt man dann genau so am neuen Erzählstrang wie an dem vorigen.
Diese Methode solltest du lieber nicht übertreiben, um deine Leser nicht zu verschrecken. Je mehr Erfahrung du damit hast, desto leichter wird es dir fallen.
Übung macht den Meisterschreiber
Ich weiß selbst aus Erfahrung, wie sehr man am Anfang auf Feedback angewiesen ist – und zwar nicht gerade aus der Familie oder von Freunden/Bekannten, die meistens alles viel positiver oder viel negativer einschätzen als es der Wahrheit entspricht. Nein, ich spreche von Buchprofis, die das beruflich machen. Von Lektoren, von anderen Autoren und natürlich auch von uns Buchcoaches.
Dabei hat man als Autorin fast immer das Gefühl, sich nackt auf dem Marktplatz präsentieren zu müssen, wenn man sein Manuskript an einen Profi weitergibt. Es hat sehr viel mit Mut zu tun, aber auch mit einer inneren Entwicklung: Aus dem „ich schreibe mal eben ein Buch“ wird ein sehr ernstzunehmender Ansatz. Nur Menschen, die mit ihrem Buch tatsächlich Erfolg haben wollen, investieren auch in dieses Projekt.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass mich persönlich nichts so weit gebracht hat wie die Zusammenarbeit mit anderen Profis. Am Anfang war das meine liebe Lektorin (wegen der ich den Roman fast nochmal geschrieben habe 😉 ), später waren es auch in anderen Bereichen Menschen, die Großartiges leisten.
Nächste Woche …
… ist zwar Buchmesse, aber das soll uns natürlich nicht davon abhalten, hier den nächsten Teil der Serie zu lesen. Am 24. geht es dann darum, wie man sich im letzten Schritt, wenn man gute Figuren und eine funktionierende Struktur hat, von den anderen Autoren abheben kann (und wir sprechen hier nicht vom Marketing, sondern noch immer vom Schreiben des Textes).
Schreib mir doch mal unten in die Kommentare, ob es dir leicht fällt, Konflikte in deine Geschichte zu integrieren und was dich momentan davon abhält, in dein Weiterkommen zu investieren.
Wenn dir der Beitrag geholfen hat, teile ihn gerne!
Ruth Baier
Liebe Annika,
erstmal 1000 Dank für Deinen lehrreichen Block!
Mir ist es zu Beginn als Autorin sehr schwer gefallen, Konflikte zu entwickeln.
Ein Grund ist sicher der Lieblingssatz meiner Mutter: „Sei ein liebes Mädchen!“
Beim Schreiben tauche ich ein in die Welt, die aus meiner Feder fließt. Und Konflikte sind wie ein Strudel, der einen in die Tiefe zieht . Dunkel und beängstigend.
Im „wahren Leben“ musste ich mühsam lernen, klar und deutlich „Nein!“ zu sagen. Als Autorin lerne ich erneut, Konflikte nicht zu fürchten, sondern sie zu ergründen und von allen Seiten zu beleuchten.
Habe also die ersten 80 Seiten meines ersten Romanprojektes in die Tonne getreten und von vorne begonnen.
Pingback: Schreibtipp: Lass deinen Helden Lügen glauben Vom Schreiben leben