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Der Plot Embryo von Dan Harmon

Dan Harmons „Plot Embryo“: Eine Alternative zur Heldenreise?

Vor kurzem stolperte ich in zwei voneinander unabhängigen Situationen über das „Story Structure“-Modell von Dan Harmon, auch unter „Plot Embryo“ in unseren Kreisen bekannt. Noch ein neues Modell, noch eine neue Methode, um einen Roman zu plotten? Muss das sein?

Plotten bereitet vielen Kopfschmerzen

 

Du bist nicht die oder der Einzige, der/die tage- oder monatelang über dem perfekten Plot (= Romanhandlung) brütet, nur um dann beim Schreiben alles wieder umzuwerfen. Es gibt unzählige Bücher über die Struktur von Geschichten und etliche darüber, wie man diese Strukturen auf andere Bereiche überträgt (Storytelling im Marketing, und so weiter).

Ein wirklich guter Plot hilft dem Roman über schwache Figuren hinweg (umgekehrt ebenso). Er ist spannend, hat Höhen und Tiefen für den Helden parat und Ünerraschungen. Zeitweise ist die Situation so verzwickt, dass man als Leser/in denkt, dass der Held nie im Leben wieder aus diesem Schlamassel hinausfinden wird. Und dann kommt eine wundersame Wendung.

Das alles kann man glücklicherweise basierend auf diversen Systemen aufbauen. Am bekanntesten ist wohl die klassische Heldenreise.

 

Die Heldenreise: Bekannteste Plotstruktur

 

Ich habe bereits an dieser Stelle einen ausführlichen Beitrag zur Heldenreise nach Christopher Vogler (basierend auf Joseph Campbell) geschrieben und hier ein Video darüber gemacht, wie die Heldenreise beim Film „Der König der Löwen“ angewandt wurde. Deshalb werde ich jetzt nur die Basics wiederholen:

Die Heldenreise nach Vogler, die sich an Drehbuchautoren richtet, besteht aus 12 Stufen, die ein Held alle durchläuft. Die Beschreibung dieser Stufen ist, platt gesagt, der Plot:

  1. Die Gewohnte (oder Alte) Welt: Der aktuelle Alltag, das Ausgangsproblem des Helden
  2. Der Ruf zum Abenteuer: Etwas Ungewöhnliches passiert
  3. Verweigerung: Der Held weigert sich, die Alte Welt zu verlassen oder wird daran gehindert
  4. Begegnung mit dem Mentor: Der Held wird vom Mentor ermutigt, sich zu trauen
  5. Übertreten der Schwelle: Der Held nimmt das Abenteuer an und zieht los
  6. Feinde und Freunde: Der Held muss erste Prüfungen bestehen und findet heraus, wer Freund und wer Feind ist
  7. Vordringen in die tiefste Höhle: Der Held trifft auf seinen Antagonisten
  8. Kampf auf Leben und Tod
  9. Sieg oder Niederlage: Der Held erhält bei einem Sieg das „Elixir“, also etwas Wertvolles, das ihm weiterhilft
  10. Er macht sich auf den Rückweg und vollzieht seine Verwandlung (Entwicklung)
  11. Die Verwandlung wird abgeschlossen
  12. Der Held kommt zurück in die Alte Welt und wird bejubelt. Das Anfangsproblem kann spätestens jetzt gelöst werden.

 

Dan Harmons „Plot Embryo“

Drehbuchautor Dan Harmon hat diese Struktur der Heldenreise genommen und sie in 8 Stufen aufgeteilt, die er „Embryos“ nennt. Dieses System ist besonders im englischsprachigen Raum sehr beliebt und populär geworden, weshalb ich es dir gerne einmal vorstellen möchte. Es lässt sich übrigens natürlich auch auf alle anderen Bereiche anwenden, in denen Geschichten erzählt werden, nicht nur auf Romane.

Wenn dir die Heldenreise bisher nur bedingt weitergeholfen hat, dann probiere es doch mal mit diesem System. Wie bei allen Systemen, kann auch dieses natürlich nur eine Grundlage bieten, auf der du dann mit deinem individuellen Stil aufbaust.

 

 

Der Held nach dem Plot Embryo-System von Dan Harmon beginnt natürlich auch in Stufe 1, hat dann aber nur 7 weitere Stufen vor sich. So sehen die einzelnen Stufen aus:

 

  1. Komfortzone: Der Held in seiner gewohnten, ihm angenehmen Umgebung
  2. Wunsch: Der Held wünscht sich etwas, hat einen Mangel an einer Sache. Ihm fehlt etwas.
  3. Neue Situation: Der Held wird mit einer ungewohnten Situation konfrontiert (Abenteuer)
  4. Anpassung: Der Held passt sich dieser neuen Umgebung, der neuen Situation an
  5. Sieg: Der Held bekommt das, was er sich gewünscht hat
  6. Preis: Es hat schwerwiegende Konsequenzen, dass der Held seinen Wunsch erfüllt bekommen hat
  7. Rückkehr: Der Held kehrt in die gewohnte Welt zurück
  8. Entwicklung: Der Held hat sich bei seinem Abenteuer verwandelt oder weiterentwickelt, sodass er nun verändert ist.

 

Sehen wir uns die einzelnen Punkte etwas näher an. Um es etwas anschaulicher zu machen, nehme ich wieder den „König der Löwen“ als Beispiel.

 

1: Ausgangslage des Helden

Zunächst wird der Held dem Leser oder der Leserin vorgestellt, und zwar in seiner „natürlichen Umgebung“. Tipp: Lass deine Figur in einer Situation sein, die der Leser/die Leserin kennt und sich hineinversetzen kann.

Beispiel: Wir lernen die Savanne kennen, in der das Löwenrudel um König Mufasa herrscht. Die Tiere verneigen sich vor dem Neugeborenen, Simba. Er wächst und lernt den Kreislauf des Lebens kennen und verlebt eine angenehme Kindheit.

 

2. Der Held will etwas / hat einen Mangel: Etwas ist anders

Was bei Vogler der „Ruf zum Abenteuer ist“, ist auch hier die Stufe 2 und beschäftigt sich damit, dass der Held einen Mangel hat oder einen Wunsch. Das Leben des Helden ist irgendwie nicht rund. Etwas fehlt: Die wahre Liebe vielleicht, eine Beförderung, Freunde oder die Anerkennung des Volkes.

Gleichzeitig kann ein externer „Ruf zum Abenteuer“ kommen: Harry Potter erhält an ihn adressierte Briefe aus Hogwarts bei gleichzeitigem Wunsch nach einer neuen Familie.

Beispiel: Simba wird von seinem Onkel in eine Schlucht gerufen, wo er warten soll. Sein Onkel, Scar, möchte den Tod des König und den Tod Simbas, um selbst König zu werden. Er sorgt dafür, dass Simba in Gefahr gerät und Mufasa sein Leben lassen muss. Simbas Welt wird durch den Tod des Vaters vollkommen zerstört, insbesondere weil Scar ihm einredet, dass Simba Schuld an allem sei. Es entsteht in Simba der Wunsch, wegzurennen und gleichzeitig der Wunsch nach einer intakten Familie.

 

3. Übertreten der Schwelle: Die neue Situation / Welt

Unser Held muss nun dem Abenteuer zustimmen, ob er will oder nicht. Er wird aus der alten Welt gehen und eine neue betreten.

Jetzt erahnen wir Leser auch, worum es in dieser Geschichte eigentlich geht. Wir haben die Figuren und die Umstände kennengelernt und können dem Helden nun bei der eigentlichen Story zusehen.

 

4. Die Suche nach der Wunscherfüllung / Anpassung

Wenn der Held in der neuen Welt ist, muss er sich dieser auch stellen. Er lernt neue Leute kennen, fällt auf manche herein, muss eventuell Prüfungen bestehen, für etwas trainieren oder etwas Wichtiges lernen. Gleichzeitig sucht er die ganze Zeit nach dem, was er haben will.

Beispiel: Simba rennt weg und verlässt das Königreich. Er lernt Timon und Pumbaa kennen und lebt fortan mit ihnen.

 

5. Der Held bekommt, was er gesucht hat (Midpoint)

Der Held hat sich bereits ein bisschen verändert und schafft es nun tatsächlich, das zu finden, was er gesucht hat.

Harmon nennt es auch in Anlehnung an Campbell „Treffen mit der Göttin“ und meint damit, dass der Held hier etwas sehr Aufschlussreiches (heraus)findet. Das kann theoretisch alles sein. Der Held wägt sich im sicheren Hafen. Er hat sich an die neue Umgebung angepasst und könnte sein Leben hier nun fristen, wenn nicht noch eine Rechnung irgendwo offen wäre.

Beispiel: Simba hat in Pumbaa und Timon eine neue Familie gefunden und verbringt viele Jahre mit ihnen, ohne an die Alte Welt zu denken. Er würde am liebsten immer hier bleiben, obwohl er weiß, dass es da draußen noch seine alte Familie gibt, die ihn aber – so meint er – vermutlich hasst, weil er seinen Vater auf dem Gewissen hat.

 

6. Die Konsequenz

Alles hat eine Auswirkung, so auch die Entscheidung des Helden, den Wunsch zu erfüllen, den er schon in Stufe 1 hatte. Was ist diese Konsequenz?

Es geht hier um Aha-Momente. Der Held realisiert, dass sich etwas verändert hat, seit sein Wunsch erfüllt wurde: Bei „Wie ein einziger Tag“ lebt die Protagonistin in einer vernünftigen, aber langweiligen Beziehung. Das ist der Preis für sie, nach Vernunft und nicht nach Liebe zu handeln.

Beispiel: Simba trifft auf Nala, seine alte beste Freundin. Sie erzählt ihm, dass seine Familie und das Königreich Hunger leiden, seit Mufasa König ist. Das bedeutet, Simbas Wunscherfüllung, eine neue Familie zu finden und vor seinem Handeln wegzulaufen, hatte eine bittere Konsequenz, denn jetzt leiden alle die, die er liebt. Ihm wird klar, dass es so nicht weitergehen kann.

7. Rückkehr in die alte Welt

Jetzt wird es wieder richtig spannend, denn der Höhepunkt naht an dieser Stelle. Der Held beschließt, aktiv zu handeln und nun das Richtige zu tun (vgl. auch „Need“ und „Want“ in der Figurenentwicklung, das ist eine separate Lektion in meinem Schreibkurs). Er muss nicht zwingend in die Alte Welt zurückgehen, aber er sollte sich auf Dinge zurückbesinnen, die früher einmal gegolten haben oder wichtig waren und nun in einem neuen Licht erscheinen.

In einem Liebesroman wäre das der Moment, indem das Paar erkennt, dass es füreinander bestimmt ist.

Beispiel: Simba zieht mit Nala zurück in das Land, in dem er geboren wurde. Er ist sich noch immer sicher, dass die Welt besser ohne ihn dran wäre.

 

8. Endgültige Veränderung

Zeit für den Showdown! Jetzt findet das Finale statt, auf das war gewartet haben. In einem Liebesroman finden die beiden Liebenden wieder zueinander. In einem Abenteuerroman steht der Held dem Antagonisten gegenüber. In einem Horror-Roman finden die Helden das Monster, und so weiter.

Wenn der Feind besiegt ist, wird klar, dass der Held nun nicht mehr der ist, der er noch vor dem Abenteuer war. Er hat sich verändert. Die Welt hat sich verändert. In einer abgeschlossenen Geschichte ist die Welt nun perfekt und es herrscht kein Mangel mehr.

Hier wird klar, dass die Prüfungen aus (4) dafür gesorgt haben, dass sich der Held zum Positiven verändert.

Beispiel: Simba sieht, wie schlecht es dem Land geht und erfährt, dass Scar der wahre Mörder Mufasas ist. Er tötet Scar indirekt und ist nun in der Lage, mit gebührendem Respekt den Fels zu erklimmen, der dem König vorbehalten ist.

 

Einfach Copy&Paste und fertig?

Das war im Schnelldurchlauf die Idee des Plot Embryos. Wenn dich die einzelnen Stufen mit mehr Beispielen aus Hollywood interessieren und du Englisch sprichst, kannst du hier diesen Artikel von Dan Harmon durchlesen.

Aber was nun? Einfach das System anwenden und es entsteht eine fertige Geschichte?

Schön wär’s.

Natürlich kannst du dieses System als Grundlage nehmen, aber zu einem Roman gehört mehr als nur eine achtteilige Geschichte. Die Figuren müssen interessant genug sein, um die Leser im Bann zu halten, du brauchst Konflikte in jeder Szene, ineinander verflochtene Handlungen und natürlich Stilmittel. Manche Regeln sollten gebrochen werden, um deinen eigenen Stil zu entwickeln und zu verfeinern. All das lernst du in meinem Schreibkurs, zu dem du dich (zumindest 2018) jederzeit anmelden und gleich loslegen kannst.

 

Nutzt du den Plot Embryo schon?

Kanntest du dieses System bereits und wenn ja, benutzt du es auch? Oder war es neu für dich und du willst es mal testen? Ich bin gespannt auf deine Antwort unten in den Kommentaren.

 

Comments

  • 14. Dezember 2019

    Ich habe in meinem ersten Roman die erste Hälfte als Heldenreise geschrieben und die zweite Hälfte als Fünfakter, weil ich das langsame Absinken der Spannungskurve nicht so toll fand. Deshalb habe ich die kurzzeitige Anhebung der Kurve beim eigentlichen Absinken aus dem Fünfakter übernommen. Eine Kurzgeschichte habe ich als reine Heldenreise geschrieben. Sie ist gut geworden, sie gefällt mir und vielen anderen, aber die reine Heldenreise ist sehr vorhersehbar und so war es auch in meiner Geschichte. Ich habe wieder eine Idee für eine Kurzgeschichte und probiere jetzt gleich den Plotembryo aus?

  • 15. Februar 2019
    Pe

    Simba habe ich als Kind gern geschaut. Und als Beispiel taucht die Geschichte sehr gut zur Illustration dieser Plot-Methode. Vielen Dank für den anschaulichen Artikel.

  • 7. September 2018

    Es ist kein neues System, wie oben schon gesagt wurde, aber mir gefällt die relative Kürze in acht prägnanten Schritten gut. Ich denke, es ist ein gutes Mittel um Struktur in den Roman zu bringen, ein Skelett gewissermaßen, das dann durch Nebencharaktere und nebenhandlungen mit Haut und Haaren und Leben versehen wird. Mit der Heldenreise konnte ich persönlich noch nie viel anfaangen, weil sie mir zu viele Stationen hat.

  • 1. September 2018

    Diesen Plot Embryo kannte ich noch nicht, aber im Prinzip ist es doch alter Wein in neuen Schläuchen oder wie das heißt. Grad krieg ich richtig Lust, auch einmal so eine plotting-Anleitung zu verfassen 🙂
    Deine letzten Anmerkungen sind perfekt! So einfach ist es nämlich nicht.
    LG Steffi

  • 1. September 2018
    Fyona A. Hallé

    Gibt es wirklich Autoren (oder Autorinnen), die auf derart stumpfsinnige Weise nach Schema F ein Buch schreiben? Mal abgesehen von Dan Brown?

  • 31. August 2018

    Herzlichen für mich war es Neu.
    Ich liebe Deine Blogbeiträge, sie haben mir schon öfter weitergeholfen…
    Lieber Gruss Monika

  • 31. August 2018

    Als ich deinen Artikel gelesen habe, dachte ich sofort: Ach schau an, so hast du deinen Roman aufgebaut. Rein instinktiv. Deshalb kann ich sagen, dass ich das Konzept schon angewendet habe, ohne es zu kennen. Ich finde es aber ausgesprochen hilfreich, es hier noch einmal so schön aufgedröselt zu bekommen. Danke schön!

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